Dienstag, 21. Februar 2017

Jose Ignacio Lopez de Arriortua - 'Du kannst es - Memoiren eines Arbeiters'

Jose Ignacio Lopez de Arriortua - 'Du kannst es - Memoiren eines Arbeiters'

Bei der Suche nach einer CD auf dem Dachboden fand ich vergangene Woche ein Buch, welches ich zum 18. Geburtstag von meinem Vater geschenkt bekam und von dem ich eigentlich angenommen hatte, dass es bei einem meiner vielen Umzüge verschollen gegangen wäre: 'Du kannst es - Memoiren eines Arbeiters'.

Das Buch handelt vom spanischen Automobilmanager Jose Ignacio Lopez de Arriortua, der Anfang der 90er Jahre in einem der größten internationalen Wirtschaftsskandale verwickelt war. Es ging dabei um den Vorwurf der Industriespionage, nachdem er als ranghoher General Motors-Manager zum VW-Konzern gewechselt war. Der Autor Javier de Juan y Penalosa beschreibt auf knapp 230 Seiten den Werdegang Lopez' ausgehend von dessen Geburt am 18. Januar 1941 im Baskenland nach dem spanischen Bürgerkrieg, über seine Schul- und Studienzeit, Arbeit bei Westinghouse, Firestone und Opel hin zum bereits genannten Wirtschaftsskandal nach seinem Wechsel zu VW.

Anfangs werden einige Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend erzählt, die seine Heimat- und Familienverbundenheit aufzeigen. Unter anderem erzählt er, dass er schon relativ früh lesen konnte und in den Anfängen seiner Schulzeit (er kam bereits mit 4 in die örtliche Schule) mit der 'Fehlerquote null' in Berührung kam. Machte er bei einem Diktat einen Fehler, musste er das Diktat nochmal schreiben. Bei 10 Fehlern musste er es 10 mal schreiben usw. Das führte dazu, dass er mit 9 Jahren kaum noch Rechtschreibfehler machte. Während seiner Studienzeit entschied er sich für Fußball, wenn die Wahl zwischen Sport und 'Dates' mit jungen Frauen anstand. Laut eigener Aussage war er der erste in seinem Ort, der einen Ingenieursabschlus vorweisen konnte. Nach seinem Abschluss folgten Stationen bei Idom, Westinghouse und Firestone. Bei Firestone war er u.a. bei der Entwicklung des ersten Reifens beteiligt, der den Fliehkraftquotienten 0 vorweisen konnte. Das war gleichzeitig der erste in Spanien entwickelte Reifen, auf den ein Patent ausgestellt wurde.

1980 wechselte er dann zu GM Zaragoza, wo er für die Optimierung der Produktionsprozesse verantwortlich wurde. Grundlage seiner Optimierungsmethode war, nicht mehr mit Stoppuhr neben den Arbeitern zu stehen und Zeiten messen, sondern Arbeitsabläufe in Gänze zu analysieren und zu optimieren. Eine japanische Studie hatte gezeigt, dass bei guten Unternehmen auf jede Bewegung, die den Wert des Endproduktes steigerte 200 unnötige kamen. Bei mittelmäßig erfolgreichen war das Verhältnis bereits etwa 1 zu 1000. Das Ziel musste daher laut ihm sein, unnötige Bewegungen aus dem Arbeitsablauf zu eliminieren. Dies war in vielen Fällen verbunden mit Änderung der Anordnung von Maschinen. Er entwickelte das System PROMIG, was später bei GM zu PICOS (Purchased Input Concept with Suppliers) wurde. Die innerbetrieblichen Abläufe konnte er so optimieren. Allerdings war es so, dass 70-80 % der Kosten durch Material und Zubehör anfielen. So kam er dazu, den Einkauf auf Vordermann zu bringen, was ja dann später sein Steckenpferd wurde. Die besten Ingenieure der jeweiligen Abteilungen wurden daraufhin zu den Zulieferern beordert, um dort die Produktionsprozesse zu verbessern. Dadurch konnten diese - zumindest laut Darstellung im Buch - mehr in besserer Qualität herstellen und damit GM bessere Konditionen anbieten.

Ein wichtiger Punkt für ihn war immer, den 'einfachen Arbeiter' auch mit einzubeziehen. In einer der Fabrikhallen wurden einmal Fahrzeuge verschiedener Fabrikate (Renault 5, Ford Fiesta, Citroen, Fiat, VW, Toyota, Seat und 2 Corsa) auseinandergenommen. Die entsprechenden Teile wurden dann nebeneinander gelegt (Motorhaube zu Motorhaube, Sitz zu Sitz etc.). Die Belegschaft sollte dann Vorschläge machen, wo man beim Material sparen konnte. So kamen rund 25' Vorschläge zusammen, welche dann an die Entwicklungsabteilung nach Deutschland geschickt wurden. Alle 25' wurden abgelehnt. Daraufhin suchte er sich 50 Vorschläge heraus und schrieb dann auf kleine Kärtchen, dass sich durch Anpassung X Summe Y einsparen lässt, was den Kosten von Z Arbeitern entspricht. Für die 50 Vorschläge kam er so in Summe auf Einsparungen im Gegenwert der Kosten von 2500 Mitarbeitern. Dies präsentierte er Jack Smith, der damals Vizepräsident von GM Europa war. Dieser veranlasste später die Genehmigung durch Fritz Löhr, Chefingenieur bei Opel. Ein konkretes Beispiel: Fußmatten sollten grau sein. Das Grau wurde durch Färbung erreicht. Durch den Mix aus schwarzen und weißen Fasern wurde auch ein grau erreicht und Färbung wurde unnötig. Dies entsprach dann einer Kosteneinsparung im Gegenwert von 80 Mitarbeitern. Die Materialkosten wurden in Folge um 6,5 % gesenkt. Jack Smith bat Lopez daraufhin, diesen Erfolg bei Opel in Deutschland zu wiederholen. Wenn man von seinen Anfängen dort liest, kann man sich vorstellen, dass er sich nicht nur Freunde gemacht hat. Im Buch selbst folgen dann einige Beispiele seiner Verhandlungstaktiken, die eigentlich immer aus 2 Schritten bestanden: erstens die Preisvorschläge nicht akzeptieren und zweitens stattdessen vorschlagen, die Prozesse beim Zulieferer selbst zu optimieren. Insgesamt war für ihn der Endpreis des Autos der Ausgangspunkt seiner Betrachtungen. Von dem wurde eine Marge abgezogen, welche der Automobilhersteller als Gewinn erwirtschaften wollte. Das was übrig blieb, war die Vorgabe für die Kosten, welche die Zulieferer verursachen durften.

Sein Vorgehen war auf jeden Fall aus wirtschaftlicher Sicht erfolgreich und konnte nach Opel auch nach seinem Wechsel nach Detroit bei ganz GM wiederholt werden. Jack Smith, der mittlerweile Präsident bei GM geworden war, hatte ihn dorthin beordert und er war ihm bereitwillig gefolgt. 1991 begann er einen Plan zu entwickeln, wie er seine Heimatregion (das Baskenland) fördern konnte. Ihm schwebte der Bau einer hochmodernen Automobilfabrik durch ein baskisches Konsortium vor, von der anschließend 60 % an GM gehen sollte (kostenlos). Das Risiko für GM wäre nach Lopez' Aussagen gering gewesen, da keine Kosten anfielen und GM anschließend die modernste Fabrik der Welt gehabt hätte. Bob Eaton (vor Smith CEO von GM - später zu Chrysler gewechselt) gab noch sein OK, aber später wurde das Projekt auf Eis gelegt. Am 08.03.1993 gab es dann eine Strategiesitzung bei Opel, auf der sich herausstellte, dass die Fabrik stattdessen in Polen oder Ungarn gebaut werden sollte. Dies war Grund für seinen Rücktritt bei GM und Wechsel zu VW, von denen er ein sehr gutes Angebot bekommen hatte. VW war damals selbst in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und in Zusammenarbeit mit Ferdinand Piech sollte es gelingen, das Ruder herumzureißen. Durch seinen Abgang bei GM und den Wechsel zur direkten Konkurrenz war Lopez nun zur Zielscheibe geworden. Über einige Jahre gab es dann Ermittlungen mit Vorwürfen der Industriespionage. Lopez selbst schreibt dazu, dass sich die entsprechenden Informationen, die sich v.a. um die Baskenlandfabrik drehten, sowieso in seinem Kopf waren und auf keinen Fall geheim waren. Am Ende trat er zurück (siehe auch passendes Youtube-Video zum Lopez-Rücktritt) und gründete seine eigene Beratungsfirma. Da er 1998 einen schweren Unfall hatte, nach dem er knapp 40 Tage im Koma lag, war er in Folge nie wieder der Alte.

Das letzten beiden Kapitel befassen sich mit der dritten industriellen Revolution. Die erste war ja mit der Erfindung der Dampfmaschine verbunden und die zweite mit der Einführung der Fließbandarbeit bei Ford. Die dritte hat nach Ansicht von Lopez den Kunden als Mittelpunkt, um den sich alles dreht. In den Abschlusskapiteln versucht er, alles unterzubringen, was ihm so einfällt. Das geht über die Wirtschaft selbst, die Umwelt, Indien+Brasilien als Staaten der Zukunft hin zu seinem neuen Paradigma: dem Kundenwert.

Insgesamt werden im Buch viele Informationen nur aus Sicht von Lopez präsentiert, was verständlich ist, da es ja seine Memoiren sind. Die Darstellung ist in Summe ähnlich parteiisch, wie die im Wikipedia-Artikel zu Lopez - nur eben aus entgegengesetzter Richtung. Lopez selbst wird im Buch ein wenig als missverstandener Held dargestellt und im Wikipedia-Artikel eher als skrupelloser Manager, der am Ende einfach viel verbrannte Erde hinterlassen hat. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich genau in der Mitte. Im Buch konnte ich - entgegen den Darstellungen in verschiedenen Artikeln bekannter Zeitschriften (z.B. bei Independent, Tagesspiegel, Spiegel oder Welt) z.B. nichts darüber finden, dass er die Preise massiv gedrückt hätte. Dort hatte man bei seinen Beispielen eher immer den Eindruck, dass die aktuellen Preise beibehalten wurden und lediglich eine Preiserhöhung durch Anwendung der Optimierung beim Zulieferer vermieden wurde. Lopez selbst war meiner Meinung nach ein Meister der Psychologie, der viele Leute einfach in seinen Bann ziehen konnte. Was auffällt, ist, dass er von vielen seiner Mitstreiter sehr hochachtungsvoll sprach (z.B. Juan Luis Bergareche - ein exzellenter Ingenieur, wunderbarer Mensch und Kollege, den man sich nur wünschen kann; meine Sekretärin, die ausgezeichnete Frau Schneider; Ferdinand Piech - ein Genie des Automobilbaus). Das habe ich so selten in Büchern gelesen. In Summe würde ich das Buch als sehr interessant und empfehlenswert ansehen - vor allem für Leute, die in der Automobilindustrie arbeiten und sich für diese interessieren. Bei Amazon ist es gebraucht für billig Geld zu bekommen.

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