Samstag, 25. August 2018

EV/FCF-Verhältnis als Alternative zum KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis)

EV/FCF-Verhältnis als Alternative zum KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis)

Eine der bekanntesten und beliebtesten Kennzahlen ist ja das KGV bzw. Kurs-Gewinn-Verhältnis. Das findet man auf den meisten Finanzseiten auch immer an prominenter Position gleich neben dem Kurs und es wird von vielen Leuten als die Bewertungskennzahl schlechthin angesehen. Ich bin hier der Meinung, dass die Kennzahl besser ist, als nichts, aber dass sie durchaus auch kritisch gesehen werden kann. Das KGV errechnet sich aus dem Preis der Aktie geteilt durch den Gewinn der Aktie. Grob ausgedrückt kann man daran erkennen, wie viele Jahre es dauern würde, den Preis, welcher aktuell zu zahlen ist, bei Vollausschüttung konstanter Gewinne wieder herauszubekommen. Kostet eine Aktie beispielsweise 10 Euro und der Gewinn pro Aktie liegt bei 2 Euro, erhält man ein KGV von 5. D.h. umgekehrt, dass ich meine 10 Euro wieder heraushätte, wenn mir das Unternehmen den Gewinn in den nächsten 5 Jahren 1:1 auszahlt (5 Jahre * 2 €/Jahr = 10 €).

Das Problem an der Sache: das KGV ist nur eine Momentaufnahme und es werden viele wichtige Fakten (sprich die Realität) nicht mit berücksichtigt. Diese wären z.B. dass die Bilanzstruktur (Guthaben, Schulden) nicht mit einfließt, dass ausgewiesener Gewinn nicht gleich Geld auf dem Konto ist, dass Gewinne schwanken können, dass zum Wachstum (oder manchmal auch einfach zum Erhalt des Status Quo) investiert werden muss etc. In Amazon oder Netflix investiert ja z.B. aktuell niemand, weil er/sie anhand der aktuell vorliegenden Zahlen ernsthaft erwartet, erst in 150 Jahren seinen Einsatz wieder zu bekommen (+ bei Tesla evtl. nie :-)).

Ich würde erfahrenen Investoren, welche ihre Investmententscheidungen u.a. anhand von Kennzahlen treffen, immer erst einmal 2 Fragen stellen:

  1. Was ist für dich wichtiger: die Marktkapitalisierung (Anzahl ausstehender Aktien * aktueller Kurs) oder aber der Enterprise Value (grob gesagt Marktkapitalisierung - Zahlungsmittel + Finanzschulden + Minderheitenanteile)? Meine Antwort wäre hier eindeutig der EV, da hier auch die Bilanz mit betrachtet wird. Mir ist nämlich ein schuldenfreies Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 100 Mio. und 50 Mio. auf dem Konto lieber, als ein Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 140 Mio., 20 Mio. Cash und 80 Mio. ausstehenden Krediten - vergleichbare Einkünfte vorausgesetzt.
  2. Was ist für dich wichtiger: der ausgewiesene Nettogewinn oder aber der Free Cash Flow (also der Betrag, der auch tatsächlich nach Abzug von Investitionen auf dem Konto verblieben ist)? Meine Antwort wäre hier auch in den meisten Fällen der Free Cash Flow, da einem damit bewusster wird, dass eine geschriebene Rechnung (wird in GuV berücksichtigt, genau wie nicht-cashwirksame Punkte wie Abschreibungen oder aber Aktienoptionen) noch lange keine bezahlte Rechnung ist. Man sollte also auch immer einen Blick in die Kapitalflussrechnung werfen.

Schlussfolgerung aus Antworten: Nutze EV/FCF statt KGV

Was liegt also näher, statt des KGV das EV/FCF-Verhältnis für die Bewertung zu benutzen? Komischerweise habe ich noch keine Finanzseite gefunden, welche diese Kennzahl ausweist. Nicht mal das Kennzahlenparadies Gurufocus. Ich persönlich benutze diese Kennzahl immer wieder gerne für Vergleiche innerhalb einer Branche bzw. auch zur Riskikominimierung. Bei der Berechnung des EV muss man sich nämlich zwangsläufig mit der Bilanz auseinandersetzen und findet so oft auch Unternehmen, welche sich in einer exzellenten Position befinden, weil sie z.B. viel Cash auf der hohen Kante haben und keine Schulden zurückzuzahlen sind. Für die gilt dann meistens: ohne Schulden sind Unternehmen bisher selten pleite gegangen. Und auch ein Blick in die Kapitalflussrechnung ist Pflicht, da man dort gut erkennen kann, was an Cash reinkommt, was so an Optionen bezahlt wird, was so abgeschrieben wird und wie das Unternehmen investiert (wird z.B. nur eher organisch gewachsen oder anorganisch durch Unternehmensübernahmen).

In jüngerer Vergangenheit habe ich durch die Nutzung dieser Kennzahl durchaus ein paar positive Investmententscheidungen getroffen (z.B. dass ich Hibbett Sports im August letzten Jahren nicht verkauft habe, dass ich kurzzeitig Perion Network in mein Portfolio aufgenommen hatte oder aber dass ich bei F5 Networks und Robert Half International aktuell investiert bin). Retrospektiv gesehen hat mich die Nutzung der Kennzahl auch vor falschen Investments bewahrt (ich denke da nur mal Mox Telecom, die damals einen niedrigen einstelligen KGV hatten, aber stark negative Cash Flows - die sind dann pleite gegangen). Gleichzeitig hätte ich sie auch nutzen sollen, um voreilige Verkäufe zu unterlassen (wie z.B. bei Apple vor ein paar Jahren oder aber Hibbett Sports Anfang diesen Jahres). Aber man lernt ja nie aus und es ist auch unmöglich, immer richtig zu liegen. Bei richtiger Diversifikation reicht es im Normalfall aus, wenn man in etwas mehr als 50 % der Fälle richtig liegt. Wir müssen uns einfach bewusst sein, dass nicht jeder wie Warren Buffett oder Charlie Munger sein kann.

Kritik:

Die EV/FCF-Kennzahl ist natürlich kein Allheilmittel und auch eher für etablierte Unternehmen geeignet (bei schnell wachsenden Unternehmen ist der FCF meist negativ). Bei Wachstumsunternehmen mit negativem FCF hilft es dann meistens, nicht die Momentaufnahme zu betrachten, sondern das, was evtl. sein könnte, wenn denn mal tatsächlich nachhaltig Cash generiert wird. Stefan Waldhauser vom High-Tech-Investing-Blog bzw. The-Digital-Leaders-Fund wird mir da sicher zustimmen. Bei mir persönlich ist das z.B. ein Punkt, welcher mich aktuell von einem Einstieg bei der Datagroup abhält. Wenn dort alles gut läuft, generieren sie irgendwann gute Cash Flows. Was ist aber, wenn es weiter so schwankend läuft, wie in den vergangenen 12 Jahren und ständig neue Unternehmen zugekauft werden (müssen)? Zusätzlich fehlte in den 9-Monats-Zahlen die Kapitalflussrechnung...

Insgesamt gesehen sollte man die EV/FCF-Kennzahl auch immer noch mit dem Wachstum ins Verhältnis setzen (so wie es beim PEG auch gemacht wird, bei dem das KGV durch die Wachstumsrate beim Gewinn/Aktie zu teilen ist -> d.h. ein KGV von 40 bei einem Wachstum von 40 % ist besser, als ein KGV von 15 und einem Wachstum von 2 % - hier verweise ich gerne auf die Bücher von Peter Lynch bzw. auf das Buch The Zulu Principle von Jim Slater). Aber das wäre dann schon wieder mal als Thema für einen Folgeartikel denkbar.

Fazit:

Es gibt Alternativen zum KGV und ich persönlich habe sie auch in mein Bewertungsexcel aufgenommen. Wenn ihr bei Stammtischgesprächen oder aber langweiligen Parties glänzen wollt, so gebt einfach einige der dargestellten Argumente zum Besten. Kauft nicht alles mit einem niedrigen KGV und kauft nicht alles mit einem niedrigen EV/FCF (wobei eure Erfolgswahrscheinlichkeit damit etwas höher liegen dürfte). Wenn ihr Gefallen an Erläuterungen zu weiteren Kennzahlen haben solltet, sei euch die Seite DIY-Investor empfohlen.

Disclaimer:

In diesem Artikel wurden einige Unternehmen genannt. Die getroffenen Aussagen sind nicht als Empfehlung jeglicher Art zu werten. D.h. ich habe nicht gesagt, dass ein Leser Aktien eines der Unternehmen kaufen, halten oder verkaufen sollte. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass es neben dem KGV auch noch andere hilfreiche Kennzahlen gibt, welche teilweise aussagekräftiger sein können.

5 Kommentare:

  1. Hi,
    also ich muss sagen dass ich die zustimme, dass ein KGV ohne etwas über die Bilanzstruktur und Schulden zu wissen gar nichts aussagt. Allerdings finde ich Free Cashflow auch nur mäßig geeignet. Am besten wäre es, wenn man nach BUffets "Owner Earnings" screenen könnte.
    Free Cashflow ist mir vor allem viel zu schwankungsanfällig, da muss man eigentlich Durchschnitte von 5 Jahren nehmen um brauchbare Ergebnisse zu bekommen. Und ich finde dass gerade Aktienoptionen (die sehr verbreitet sind und bei etlichen Unternehmen 2% der Marktkapitalisierung pro Jahr ausmachen) auch als Kosten verbucht werden sollten.
    Letztendlich ist jede Kennzahl unperfekt und kann manipuliert werden. Gewinne glätten dabei schon sehr viel und sind meiner Meinung nach durchaus brauchbar - nur eben nicht im Vakuum, sondern zusammen mit all den anderen Kennzahlen.

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    1. Die Ausübung der Aktienoptionen schaue ich mir im Falle des Falles immer noch gesondert an, da ja oft auch ein großer Teil der Optionen verfällt. Aber der Hinweis ist richtig. Mit den Owners Earnings hatte ich mich noch nicht so genau befasst. Von daher kann ich nicht beurteilen, ob die dem FCF vorzuziehen sind...

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    2. Im Prinzip kann man sagen das sind Free Cashflows bereinigt um bestimmte Punkte wie eben Optionen, aber auch mit geglätteten Investitionen (was bedeutet man muss viel eigene Schätzungen in dad Modell stecken).

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  2. Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag!
    Ich habe mich schon oft gefragt warum sich eigentlich das KGV durchgesetzt hat als der allgemein wohl am meisten beachtete Bewertungsmaßstab. Zumindest für die Bewertung von Wachstumsunternehmen ist es kaum brauchbar. Denn der Gewinn ist tatsächlich vom Management viel leichter zu manipulieren als der Cashflow. Und auch die Marktkapitalisierung sagt ja wenig aus, wenn man sie nicht um Schulden und Cash bereinigt betrachtet - was dann zum Enterprise Value führt.

    Die für mich wichtigste Kennzahl um die Qualität eines Wachstumsunternehmens zu beurteilen, ist der sogenannte Bessemer Efficiency Score, der sich aus der Summe von Umsatzwachstum und Free-Cashflow-Marge ergibt. Der grosse Vorteil dieser Kennzahl ist, dass man auch High-Growth-Unternehmen damit beurteilen kann, die noch einen negativen Cashflow hinnehmen müssen, um ihr Wachstum zu finanzieren. Ich habe auf dem High-Tech-Investing-Blog kürzlich diese Vorgehensweise mal etwas genauer beschrieben: https://www.high-tech-investing.de/single-post/2018/04/23/Die-Rule-of-40

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    1. Hallo Stefan,

      jetzt wo du es schreibst, kann ich mich erinnern, da bei dir was drüber gelesen zu haben. Der Artikel, den du genannt hattest, war durchaus lesenswert...

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