Montag, 27. Juni 2016

Mein Investmentprozess

Mein Investmentprozess

Früher sah mein Investmentprozess in etwa so aus:

Kaufprozess: Die Story zu Unternehmen X im Börsenbrief 'Der Spekulant' hört sich interessant an. Super: davon kann man in Deutschland Aktien kaufen. Oh: die kosten sogar weniger als 1 €. Am Chart kann man ganz genau sehen, dass es in der Vergangenheit mal ein Tief gegeben hat, aber seit vielen Wochen geht es steil bergauf. Und in der BILD haben sie Mr. Dax interviewt, der sagte, dass demnächst die Sonne den ganzen Tag über scheinen wird. Dann kauf ich die mal für 2000 €. Investieren ist so einfach: keine 5 Minuten von Investmententscheidung zur Einbuchung ins Depot.

Verkaufsprozess: Verdammt. In China ist ein Sack Reis umgefallen. Laut Börsennews vor der Tagesschau hat das dazu geführt, dass der IFO-Index um 1,4 Punkte auf 47,9 dezibel gefallen ist. Und auch Mr. Dax Dirk Müller denkt, dass in den nächsten Monaten die Welt untergehen wird. Dann verkauf ich sicherheitshalber mal alles. 20 % Wertverlust ist nun mal besser als 50 %.

Alles in allem konstant unkonstant. Glücklicherweise gibt es - wenn man nicht gerade masochistisch veranlagt ist - so etwas wie einen Lernprozess. Dieser hat bei mir bis zum heutigen Zeitpunkt zu folgenden Grundsätzen geführt, die ich versuche einzuhalten:

  1. Folge nicht blind Anderen, egal wie erfolgreich sie in der Vergangenheit waren. Nimm präsentierte Ideen als Ausgangspunkt und hinterfrage sie kritisch. Am Ende trifft man selbst die Entscheidungen und ist als erwachsener Mensch auch selbst dafür verantwortlich.
  2. Kaufe und verkaufe nicht mehr spontan: Das ist bei mir möglich, da ich meine Daten, die ich für Transaktionen benötige, zu Hause aufbewahre und die Woche über auswärts arbeite.
  3. Spekuliere nicht auf Entwicklungen im Makrozyklus: Z.B. versuche ich im Allgemeinen Kauf- und Verkaufentscheidungen unabhängig davon zu treffen, ob nun demnächst Leitzinsen erhöht/gesenkt werden.
  4. Schau dir nicht dauernd die Kurse deiner Investments an: Schwierig im Zeitalter der Smartphones und Cookies auf Webseiten, aber durchaus machbar.
  5. Nutze keine Stop-Loss-Limits. Treffe Verkaufsentscheidungen nur bewusst.
  6. Sei geduldig. Einer der wichtigsten Grundsätze überhaupt. Fast alle Investments, die ich seit Umstellung meines Investmentprozesses mit Verlust verkauft habe, hätten zu einem späteren Zeitpunkt mindestens +/- 0 gebracht. Beispiel gefällig: Am 15.06.2012 habe ich Nokia zu 2,28 € gekauft. Ich kann mich erinnern, damals einen Artikel gelesen zu haben, welcher die Patente von Nokia als Hidden Asset beschrieb, die Nokia trotz seiner operativen Probleme für andere Unternehmen wie z.B. Microsoft interessant machen könnten. Am 16.07.2012 griff ein Stop Loss-Limit bei 1,50 € und meine Aktien wurden zu 1,46 € verkauft. Den Chart von Nokia kann sich jeder selbst anschauen.
  7. Sei nicht oberschlau: Meistens liegt Mr. Market richtig.
  8. Sei optimistisch. Auf lange Sicht geht es immer bergauf. Dafür reicht es, sich einfach mal den langfristigen Chart vom Dow Jones oder Dax anzuschauen.
  9. Informiere dich vor dem Kauf intensiv und versuche einen Wert zu bestimmen.
  10. Sei dir bewusst, dass du mit einer Aktie einen Unternehmensanteil erwirbst und keinen Lottoschein oder ein Pokerblatt.
  11. Investiere nicht auf Pump und nur das Geld, was du demnächst nicht brauchst. Dies ist auch der Grund dafür, dass im Moment ein Großteil meines Geldes auf dem Tagesgeldkonto liegt. Es wird evtl. für Grundstück oder Haus benötigt.
  12. Höre nicht auf Kurvendeuter. Wer auf Grundlage von X-Tage-Linien oder Hals-Nasen-Ohrenarzt-Formationen, die von oben, unten, links oder rechts durchbrochen werden, Investmententscheidungen trifft, kann nicht ernst genommen werden. Dieser Grundsatz ist nicht ganz ernst gemeint. Manchmal haben sie ja trotzdem Recht. Ich sage nur Huhn und Korn :-)

Durch Anwendung dieser Grundsätze sieht mein Investmentprozess mittlerweile so aus:

Analyseprozess/Kaufprozess: Zunächst muss ich auf ein Unternehmen aufmerksam werden. Im Normalfall kommt die Analyseidee aus Blogs, von News auf Webseiten, aus EasyWISA oder aus anderen Screenern. Den Grund, wie ich aufmerksam geworden bin, notiere ich in meiner Analyse-Textdatei. Zusätzlich schaue ich kurz auf das Chartbild, notiere den Tageskurs und das Tagesdatum.

Dann schaue ich mir die Mehrjahres-Fundamentaldaten an (Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz, Cashflowrechnung). Je nachdem, ob es ein Amerikanisches Unternehmen oder eher ein europäisches Unternehmen ist, nutze ich hierfür entweder gurufocus.com oder aber ariva.de. Das, was mir direkt auffällt, notiere ich mir (z.B. hoher Stand an Verbindlichkeiten, wechselhafte/stetige Gewinnentwicklung, Cashflow > Net Earnings). Zusätzlich versuche ich, das Unternehmen in eine der 6 Schubladen nach Peter Lynch einzuordnen (Slow Grower, Stalwart, Fast Grower, Cyclical, Asset Play, Turnaround). Dies hilft später bei der Bewertung der berechneten Kennzahlen.

Der nächste Schritt ist die Beschaffung des letzten Geschäftsberichts. Im Normalfall suche ich hierfür bei Google nach 'Unternehmensname + Investor Relations' oder aber nach 'Unternehmensname + SEC Filings'. Auf den ersten Seiten steht meist irgendwo die Gesamtanzahl an ausstehenden Aktien. Anhand dieser berechne ich mir selbst die Marktkapitalisierung (=Anzahl Aktien * aktueller Kurs). Mit dieser lässt sich dann beim ersten Durcharbeiten direkt im Kopf eine Bewertung durchführen (also z.B. KGV, KBV). Beim Durchlesen des Geschäftsberichts mache ich mir weitere Notizen. Meist arbeite ich dabei folgende Frage ab und ordne diese in eine Pro und Contra-Liste ein:

  • Werden Aktienrückkäufe durchgeführt?
  • Kann ich mit dem Produkt oder der Dienstleistung etwas anfangen bzw. macht das Geschäft für mich Sinn?
  • Was verdienen die Vorstände?
  • Werden die GAAP-Zahlen veröffentlicht oder schöngerechnete Non-GAAP-Zahlen?
  • Wie sieht es mit Aktienoptionen aus?
  • Wann sind die Schulden fällig?

In vielen Fällen schaue ich mir dann bei Seekingalpha an, was andere Investoren über das Unternehmen geschrieben haben. Oft kann man dort Meinungen von Investoren lesen, die Long sind, aber auch solche, die die Aktie shorten (d.h. auf fallende Kurse setzen). Vor allem die Argumente der Bären lese ich mir im Allgemeinen sehr genau durch, da dort oft Punkte besprochen werden, die in Geschäftsberichten gerne unter den Tisch gekehrt werden oder aber die Konkurrenten besser machen. Falls es direkte Konkurrenten gibt, mache ich dann im Allgemeinen eine Kurzanalyse dieser, um vergleichbare Kennzahlen zu erhalten.

Am Ende steht dann erst einmal ein Zwischenfazit und die Entscheidung, ob das Unternehmen auf eine Watchlist kommt oder nicht. Zusätzlich versuche ich, eine Art Bewertung durchzuführen, ob und ab wann ich die Aktie nach jetzigem Kenntnisstand kaufen würde. Wie heißt es so schön: Es gibt für fast Unternehmen - egal wie schlecht es ihm geht - einen Preis, für den man es kaufen würde. Periodisch schaue ich mir meine Watchlisten an und ab und an kommt es vor, dass Unternehmen den Kurs erreichen, ab dem ich kaufen würde. Ist dies der Fall, so wird geschaut, inwieweit die 'alte' Analyse noch Gültigkeit hat. Die Analyse selbst aktualisiere ich ggf. und fälle dann eine Kaufentscheidung.

Wie man jetzt schon erkennen kann, ist der Prozess mittlerweile wesentlich aufwändiger geworden, was sicherlich nicht jedermanns Sache ist. Für die Leute, die ungern lesen und noch weniger rechnen, empfehle ich an dieser Stelle einfach einen DAX/MDAX-ETF-Sparplan mit einem monatlichen Betrag X. Der wird den Käufer meiner Meinung nach in vielen Jahren positiv überraschen. Auch hier sei wieder auf das allgemeine Chartbild von Dax oder besser noch Dow Jones verwiesen bzw. Grundsatz Nr. 7.

Der Verkaufsprozess ist noch in der Entwicklung. In letzter Zeit habe ich eigentlich nur verkauft, wenn sich die konkretem Gegebenheiten eines Unternehmens stark verschlechtert haben oder aber, wenn das von mir vorgesehene Ereignis eingetreten ist (z.B. Übernahme von King Digital oder aber Sonderdividende bei Balda/Clere).

2 Kommentare:

  1. Hallo erstmal . Eine gute Sichtweise der Dinge . Ich möchte jedoch einige Sicht-Ansätze von anderer Seite beleuchten . Zu 11 , keine Investitionen auf Pump . Dieses ist nicht ganz richtig .Ich würde hier sagen keine AUSGABE auf Pump . Investitionen auf Pump können immer einen netten Hebel bringen . Sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung . Ausschlaggebend wäre hier die Sichtweise auf den Kapitalstock und das eingegangene Risiko . Gerade bei z.B. einen Haus oder Wohnungskauf , wird ja genau dieses auch vermutlich eintreten . Oder hast Du das komplette Kapital bereits rumliegen ??? . Also für mich wäre halt die Frage , Hyp. zu 1,5 Prozent leihen , Anlage zu ( wenig ) 5 Prozent , gibt immer noch einen Spread von 3,5 Prozent zu meinen Gunsten . Wichtig dabei wäre halt nur , das man sich selber nicht in Zugzwang bringt , irgendetwas auflösen oder verkaufen zu müssen . Also nur wenn ich SICHER meine Verpflichtungen aus Kredite bedienen kann , könnte ich eine Investition in Wertpapiere auf der anderen Seite mit Kredit tätigen .
    Zu Gold , hier bin ich der Meinung , das ruhig etwas Gold ( ca. 5 bis 10 Prozent des kompletten Kapitalstocks incl. GRV / Immo / andere Anlagen ) als Versicherung für stürmische Zeiten gehalten werden kann . Daher ist auch meine langweilige Aufteilung 30/30/30/10 . Dennoch , Deine Grundsätzlichen Sichtweisen werden auch von mir so gesehen . Dir weiterhin viel Erfolg bei den Aufbau und der späteren Nutzung deines Kapitalstocks.
    LG Det

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    1. Hallo Det,

      vielen Dank für deinen Kommentar. Es ist richtig: ein ganzer Teil fehlt zur Barzahlung des Eigenheims. Zumindest, solange wir hier in der Nähe von München wohnen :-) Das mit dem Gold kann jeder so halten, wie mit dem Wertpapierkauf auf Pump. Natürlich gibt es im besten Falle einen Spread von z.B. 3,5 %. Aber genau so haben viele Amerikaner 2006 und 2007 auch noch gedacht bei der Beleihung ihres Hauses. Und irgendwann kamen dann die Banken um die Ecke, weil die Häuser eben plötzlich auf dem Papier nicht mehr das wert waren, was man mal dachte. Das Ende der Geschichte kennen wir.

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