In letzter Zeit habe ich einmal ein wenig die deutsche Finanzblogszene durchforstet und bin dabei auch auf den Finanzwesir gestoßen. Er schreibt in seinem Blog viele interessante Sachen, postet hilfreiche Links und hat durch seine Reichweite und breite Akzeptanz in der 'Szene' auch einen gewissen Einfluss. Dies trifft sowohl auf erfahrenere Akteure zu, aber auch auf Menschen, die sich noch nicht so viel mit dem Thema Finanzen auseinandergesetzt haben. Von daher wollte ich einmal die Chance ergreifen, ein paar Worte zu seinem Manifest zu verlieren. Das Glaubensbekenntnis ist einerseits sehr gut geschrieben, enthält aber andererseits eben auch eine recht zentrale Pauschalaussage, welche meiner Meinung nach schlichtweg falsch ist. Diese wäre 'Es ist unmöglich, den Markt zuverlässig zu schlagen'. Hätte er geschrieben 'Es ist schwer, den Markt zuverlässig zu schlagen' wäre ich voll bei ihm gewesen. So aber suggeriert er, dass man sich die gesamte Arbeit eigentlich sparen kann und einfach einen ETF kaufen sollte, der den Markt abbildet.
Der Vorschlag mit einen Welt-ETF ist meiner Meinung nach sehr gut geeignet für einen Investor, der
- keinen Bock mehr auf Sparbuch oder 0,025 % Tagesgeld hat und
- keine Zeit hat und
- keine Lust hat, sich in die Thematik 'Fundamentaldatenanalyse' einzuarbeiten
Für alle anderen (vor allem jungen) Leute ist dieser Vorschlag dahingehend kontraproduktiv, dass sie anschließend eventuell gar nicht erst versuchen, etwas Überdurchschnittliches zu erreichen. Das ist so, als ob man einem jungen Sportler sagt: Hör auf, härter zu trainieren. Es ist unmöglich, so schnell wie Bolt zu werden, so gut Fußball zu spielen wie CR7 oder aber so athletisch zu werden, wie LBJ. Die vom Finanzwesir getroffene Aussage entspricht im Endeffekt der von VWLern geliebten und gefeierten Markteffizienzhypothese.
Warum ich nichts davon halte, in diesem Bereich etwas als unmöglich anzusehen:
- Mir wurde relativ früh beigebracht 'Geht nicht gibt's nicht'. Wenn ich zu meinem Vater sagte 'Den Scheiß kann ich nicht', sagte er zu mir 'Kann ich nicht hat im Wortschatz eines Mannes nix zu suchen'
- Es gibt einfach zu viele Beispiele im professionellen (Warren Buffett, Charles Munger, Peter Lynch, Seth Klarman, Joel Greenblatt, Walter Schloss) als auch dem nicht-professionellen Bereich (z.B. MMI oder Geoff Gannon), welche der 'unmöglich'-Aussage entgegen stehen.
- Der Essay 'The Superinvestors of Graham-and-Doddsville' von Warren Buffett aus 1984 (hier).
- Wenn man den Markt schlagen möchte, der ja aus der Gesamtheit der guten, durchschnittlichen und schlechten Performer besteht, so muss man es lediglich schaffen, die guten Performer überzugewichten und die durchschnittlichen und schlechten Performer wenn möglich zu vermeiden. Ist das möglich? Sicherlich nicht zu 100 %, aber zumindest sollte es mit Fleiß und entsprechender Erfahrung möglich sein, seine Fehlerquote signifikant unter 50 % zu halten. Und wie schafft man das? Lesen, lesen, lesen... Und zwar Blogbeiträge über Unternehmen, Geschäftsberichte von Unternehmen und Erfahrungsberichte/Bücher von/über diejenigen, die es in der Vergangenheit schafften, den Markt dauerhaft zu schlagen.
Dies bedeutet nicht, dass man lieber pauschal auf aktiv gemanagte Fonds umsteigen soll, denn dort hat der Finanzwesir durchaus recht, was die allgemeine Underperformance angeht. Man sollte sich nur vor Augen halten, dass man als Privatinvestor gegenüber professionellen Investoren im Bezug auf Individualinvestments einige riesen Vorteile besitzt und diese auch nutzen sollte:
- Man hat weniger Restriktionen. D.h. man kann unabhängig davon investieren, welche Marktkapitalisierung das Unternehmen hat, welches Handelsvolumen, ob Dividende bezahlt wird oder nicht, ob Gewinne gemacht werden oder nicht, in welcher Branche oder welchem Land es beheimatet ist etc. Man ist da eigentlich vollkommen frei in seiner Auswahl.
- Man kann kaufen und verkaufen, wann man will. Redemptions etc. sollte es nicht geben, außer man hat auf Kredit spekuliert und der Kreditgeber will sein Geld wiedersehen. Aber das Investieren in Aktien per Kredit sollte man ja sowieso lassen.
- Man kann die Gewichtung im Portfolio so wählen, wie man möchte. D.h. man muss nicht verkaufen, wenn eine Position eine gewisse Gewichtung erreicht hat.
- Man muss kein Windowdressing betreiben. D.h. man kann langfristig denken/investieren und nicht nur von Quartal zu Quartal.
- Man ist niemandem Rechenschaft schuldig. Bringt man als professioneller Fondsmanager über einen längeren Zeitraum eine unterdurchschnittliche Performance, so ist man verbrannt und wird es in Zukunft schwerer haben, weiteres Kapital zur Verwaltung zu erhalten. Im Privatbereich gilt dies nicht. Hier kann man sich einfach folgende Skifahrerweisheit vor Augen halten: "Wer sich nicht auf die Fresse gehauen hat, hat es nicht hart genug probiert"
Mit dieser Einstellung bin ich letztendlich beim Value Investing gelandet. Ob dieser Bereich dann im Endeffekt zu einem passt, muss allerdings jeder für sich selbst herausfinden.
Auf Gurufocus habe ich vor kurzem übrigens einen hervorragenden Artikel von Grahamites zum Thema Value Investing gelesen. Ich selbst würde mich diesbezüglich erst auf Stufe 2 sehen. Es liegt also noch ein langer Weg vor mir. Wenn ich in diesem Zusammenhang das Wort 'Level' sehe, denke ich, dass man sein Leben in bestimmten Bereichen manchmal wirklich als eine Art Spiel betrachten sollte. Dabei muss man sich allerdings im Klaren sein, dass es keine Speicher- und Lademöglichkeiten gibt. In Rollenspielen fängt man ja meist auch mit Level 1 an und steigert dieses anhand des Sammelns von Erfahrung. Sich nicht mit Status Quo abzufinden, sondern sich stetig zu verbessern, dazulernen und andere Blickwinkel kennen zu lernen sind für mich Grundvoraussetzungen dafür, irgendwo Erfolg zu haben. Dies gilt meiner Meinung nach in allen Bereichen des Lebens (Arbeit, Sport, Partnerschaft, Kindererziehung, etc.).
Abschließend noch ein passendes Charlie Munger-Zitat dazu: "Spend each day trying to be a little wiser than you were when you woke up. Discharge your duties faithfully and well. Step by step you get ahead but not necessarily in fast spurts. But you build discipline by preparing for fast spurts. Slug it out one inch at a time, day by day. At the end of the day – if you live long enough – most people get what they deserve."
Sehr schöner Artikel. Kann ich nur unterstreichen :).
AntwortenLöschenToller Artikel. Sehe ich auch so. Ich denke, neben jedem Tag ein bisschen besser werden, gehört auch dazu sich jeden Tag kritisch zu hinterfrage und sich seine Fehler einzugestehen. D.h. auch zu erkennen, wann man auf die Fresse geflogen ist. Dies ist beim Investieren nicht immer so eindeutig, wie bei Skifahren.
AntwortenLöschenDanke dir für diesen schönen Artikel. Bin hier auch voll bei dir! Die Märkte sind nicht (immer) effizient. Dafür gibt es wie du schreibst viele Beispiele. Das ganze Thema Behavioral Finance ist meiner Meinung nach auch überhaupt erst entstanden, weil die Effizienzmarkthypothese die realen Abweichungen der Preise vom intrinsischen Wert nämlich nicht erklärt.
AntwortenLöschenJoerg
AntwortenLöschen"Wer allzeit strebend sich bemueht ..."
wird trotzdem vielleicht nicht gerettet.
Zuerst einmal PRIMA. Warum nicht versuchen mit Einzelaktien erfolgreich zu sein. Auch, wenn es schwer ist, unmoeglich ist es natuerlich nicht ...
Immerhin bist du so der bessere Buerger:
http://www.finanzwesir.com/blog/dividendenstrategie#1478340818
Und es muss ja nicht jeder dich nachahmen:
http://timschaefermedia.com/gebuehren-sind-wie-termiten-sie-fressen-alles-auf/#comment-22703
Keine Frage, es gibt den naechsten BOLT oder BUFFET, und vielleicht ... ja ganz vielleicht gelingt es dir ...
auch wenn es vielen Mitstreitern nicht gelinkt (mit k) :-)
Meinen Segen hast Du!
Hallo Jörg,
Löschendanke für den Kommentar, auch wenn ich nicht alles verstanden habe, was du mir sagen wolltest...
Ein wunderbarer Artikel, der mir wirklich aus der Seele spricht. Als ich vor einigen Monaten meinen Blog zum Thema High-Tech-Investing gestartet habe, ist mir erst klar geworden, wieviel Akzeptanz die ETF-Anhänger wie der Finanzwesir oder Gerd Kommer in der breiten Anleger-Öffentlichkeit gewonnen haben.
AntwortenLöschenEs scheint fast so als müsse man sich heutzutage rechtfertigen, wenn man als aktiver Stock-Picker eine aktive längerfristige Investmentstrategie verfolgt und dann auch noch behauptet man würde nachhaltig besser abschneiden als der Markt. Ganz nach der Devise: Denn was nicht ist, das darf nicht sein...
Ich habe mal die Ergebnisse eines Langzeitexperiments veröffentlicht, das ich seit mehr als 15 Jahren mit einer Gruppe von erfahrenen Privatanlegern durchgeführt habe. Alle haben - und zwar mit unterschiedlichen Strategien - den Markt deutlich outperformt siehe http://bit.ly/2wJRcWt
Es geht mir gar nicht darum, ETF und andere passive Investments schlechtzureden. Im Gegenteil: für viele Leute, die sich nicht mit ihrer Geldanlage beschäftigen und niemandem anderen ihr Geld anvertrauen wollen, sind das tolle Möglichkeiten, dennoch eine durchschnittliche Rendite zu bekommen. Aber wer überdurchschnittllich abschneiden will, der kann das als Privatanleger durchaus, wenn er seine Hausaufgaben macht. Warum wird nur immer wieder behauptet, das sei nicht möglich?
Ich freue mich, dass auf diesem Blog das Gegenteil bewiesen wird... es tut immer gut zu wissen, dass man nicht alleine gegen den Strom rudert...
VG Stefan Waldhauser
Hallo Stefan,
Löschenvielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Mir ist erst kürzlich beim Verfassen von 'Learn to Earn' mal wieder klar geworden, dass passive Investments zwar gut sind, bei Auswahl hochklassiger Unternehmen aber trotzdem eine Outperformance möglich ist. Dass aber der hochgelobte MSCI-World dabei langfristig gesehen sogar der eher schlechteste Index war, hatte mich allerdings schein ein wenig überrascht.