Mittwoch, 18. Januar 2017

Buchvorstellung: Nicolas Schmidlin - Unternehmensbewertung & Kennzahlenanalyse

Buchvorstellung: Nicolas Schmidlin - Unternehmensbewertung & Kennzahlenanalyse

Schon zu meiner Studienzeit hatte ich Vorlesungen zum Thema Rechnungswesen und Finanzierung+Investition. Aber aus irgend einem Grunde habe ich mich dann - obwohl ich gute Noten darin hatte - doch eher auf die Programmierung konzentriert und im Bezug auf Investments keinerlei Weiterbildung betrieben. Nach einigen Jahren kam ich dann dahinter, dass es doch irgendwie möglich sein muss, strukturierter an das Thema Investieren heran zu gehen und Unternehmensanalysen durchzuführen. Erst spät wurde mir bewusst, dass ich die notwendigen Grundlagen eigentlich schon kannte, allerdings nur ins Hinterstübchen verbannt hatte. So richtig bewusst wurde es mir nach dem Lesen des Buches, welches ich euch heute vorstellen möchte und welches ich v.a. für Anfänger im Bereich der Unternehmensanalysen für ideal halte: Unternehmensbewertung & Kennzahlenanalyse von Nicolas Schmidlin.

Zum Autor:
Der recht junge Autor Nicolas Schmidlin (Jahrgang 1988) hat in Frankfurt sowie London studiert und das Buch bereits während seiner Studienzeit verfasst. Zusammen mit Marc Profitlich hat er die Fondsberatungsgesellschaft ProfitlichSchmidlin AG gegründet, welche auch selbst einen Fonds verwaltet. Da ich eher das Buch und nicht im Detail den Autor vorstellen möchte, würde ich zu den beiden keine weiteren Worte verlieren. Stattdessen verweise hier einfach mal ganz frech auf den 2015er Capital-Artikel über sie.

Zum Buch:
Ich habe die 1. Auflage aus 2011 gelesen, welche in 9 Kapital aufgeteilt ist, die sich über knapp 280 Seiten erstrecken. Nach einer allgemeinen Einführung zum Thema Investments in Aktien (+ das zwiespältige Verhältnis der Deutschen dazu) durch Philipp Vorndran verliert auch Herrn Schmidlin ein paar einleitende Worte und geht dann direkt in die Vollen. Bereits der erste Satz des ersten Kapitels ist dabei wichtig: "Das Rechnungswesen ist die Sprache der Unternehmen". Er ist dahingehend wichtig, da einem Folgendes bewusst sein muss: wie es bei Sprachen nun einmal so ist, muss man sie einerseits erst einmal lernen und andererseits braucht es viel Übung, um sie perfekt zu beherrschen.

Bezogen auf Geschäftsberichte gibt es mehrere sich ähnelnde Sprachen. In Deutschland war früher die Rechnungslegung nach dem HGB (Handelsgesetzbuch) vorrangig. Dies wurde in den 2000ern im Zuge der Europäisierung zu Gunsten der IFRS (International Financial Reporting Standards) geändert. Diese orientieren sich an den für amerikanische Unternehmen verwendeten US-GAAP-Regeln (United States Generally Accepted Accounting Principles) und führen im Vergleich mit den HGB-Regeln v.a. dazu, dass die ausgewiesenen Gewinne oft etwas höher sind, genau wie ausgewiesene Bilanzpositionen.

Anschließend geht er näher auf den allgemeinen Aufbau von Geschäftsberichten und Jahresabschlüssen ein. Die wichtigsten wären dabei:

  1. Gewinn und Verlustrechnung / Income Statement: hier zeigt er die Unterschiede der 2 Darstellungsvarianten Gesamtkostenverfahren und Umsatzkostenverfahren auf inkl. einiger damit verbundener Vor- und Nachteile. Z.B. kann man beim Gesamtkostenverfahren Materialquoten und Personalquoten berechnen.
  2. Bilanz / Balance Sheet: Aufteilung in Aktiva (Mittelverwendung) und Passiva (Mittelherkunft). D.h. Aktiva zeigt die Vermögensgegenstände (langfristig und kurzfristig - z.B. Sachanlagen, Forderungen, Bankguthaben, Firmenwerte) und Passiva zeigt, wie Vermögensgegenstände bezahlt wurden (z.B. eingezahltes Grundkapital, einbehaltene Gewinne, Kredite, Verbindlichkeiten aus LuL, Kapitalerhöhungen, Rückstellungen etc.)
  3. Kapitalflussrechnung / Cash Flow-Statement: er nennt es das zentrale Element für Unternehmensanalysen und zeigt beispielhaft auf, wie man per Kapitalflussrechnung präkere Situationen aufdecken kann, die bei Studium der GuV nicht aufgetreten wären. Anhand der Kapitalflussrechnungen von BASF und Sothebys erläutert er die einzelnen Bestandteile.
  4. Eigenkapitalveränderungsrechnung
  5. Anhang / Notes: Hier werden die einzelen Positionen von 1.-4. meist im Detail nochmals erläutert. Oft ist es so, dass bei 1.-4. bei der jeweiligen Position (z.B. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten) eine Zahl steht und man dann im Anhang eine genaue Erläuterung der Position findet (z.B. konkrete Laufzeiten der Kredite und Zinssätze)

In Kapitel 2 geht er auf die Berechnung diverser Rentabilitätskennzahlen ein.

  1. Eigenkapitalrendite (Nettogewinn/Eigenkapital): Er zeigt auch auf, dass eine hohe EK-Rendite nicht zwangsläufig gut ist, da sie leicht durch Aufnahme von Fremdkapital verzerrt werden kann. Ein konkretes Beispiel hier ist IBM, welches zwar eine sehr hohe EK-Rendite ausweist, allerdings auch eine niedrige EK-Quote.
  2. Umsatzrendite (Nettogewinn/Umsatz): nützlich für Vergleich von Unternehmen in gleicher Branche. Branchenübergreifend wenig Aussagekraft.
  3. EBIT- und EBITDA-Marge (EBIT/Umsatz bzw. EBITDA/Umsatz): ähnliche Verwendung, wie Umsatzrendite. Allerdings 'bereinigt' um verzerrende Faktoren, wie z.B. gezahlte Zinsen.
  4. Kapitalumschlag (Umsatz/Bilanzsumme): Wieviel Kapital wird zur Generierung des Umsatzes benötigt? Ein höherer Kapitalumschlag ist besser, als ein niedriger. Ist auch wieder branchenabhängig auszuwerten.
  5. Gesamtkapitalrendite (für ihn (Jahresüberschuss + Fremdkapitalzinsen) / Bilanzsumme): Vorteil gegenüber der EK-Rendite ist, dass sie nicht so leicht verzerrt werden kann.
  6. ROCE (Return on Capital Employed = EBIT/Capital Employed)
  7. Umsatzverdienstrate (operativer Cashflow/Umsatz): je höher, desto besser

In Kapitel 3 folgt die Berechnung von Kennzahlen zur finanziellen Stabilität

  1. Eigenkapitalquote (Eigenkapital/Bilanzsumme): im Normalfall sind Unternehmen mit höherer EK-Quote solchen mit niedrigerer vorzuziehen, da bei ihnen die Wahrscheinlichkeit höher ist, unbeschadet aus Krisen hervorzugehen
  2. Gearing ((Finanzverbindlichkeiten - liquide Mittel)/Eigenkapitel): niedriges Gearing ist gut -> nennt Bereich kleiner 10-20 % ideal im Bezug auf finanzielle Stabilität -> auch negatives Gearing möglich, wenn Nettofinanzposition vorliegt
  3. Dynamischer Verschuldungsgrad ((Finanzverbindlichkeiten - liquide Mittel)/Free Cashflow): entspricht der theoretischen Schuldentilgungsdauer -> Werte unter 2 Jahren sind sehr gut und solche über 5 Jahren kritisch
  4. Net Debt / EBITDA: im Endeffekt ähnlich 3. zu sehen
  5. Sachinvestitionsquote (Sachinvestitionen/OCF): je niedriger, desto besser. Bei Betrachtung darauf achten, dass Sachinvestitionen geglättet werden (z.B. wenn alle 3 Jahre neuer Traktor gekauft werden muss, sieht es in 2 Jahren gut aus und in einem scheiße)
  6. Anlagenabnutzungsgrad (Abschreibungen auf Sachanlagen/Sachanlagen zu Anschaffungskosten)
  7. Wachstumsquote (Investitionen/Abschreibungen): bei über 100 % expansive Phase; bei unter 100 % prüfen, ob ggf. Abschreibungen zu hoch angesetzt sind
  8. Cash Burn Rate (Eigenkapital/Jahresfehlbetrag): Anzahl der Jahre, in denen das EK aufgebraucht ist -> v.a. bei NetNets wichtig -> sollte bei Sanierung natürlich abnehmen bzw. dahin gehen, dass kein Cash mehr verbrannt wird
  9. Umlauf- und Anlagenintensität: Umlaufvermögen/Bilanzsumme bzw. Anlagevermögen/Bilanzsumme
  10. Anlagendeckungsgrad I und II: goldene Bilanzregel = langfristiges Vermögen sollte auch langfristig finanziert sein -> ADG I = Eigenkapital/Anlagevermögen, ADG II= (Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital) / Anlagevermögen
  11. Goodwill-Anteil (Goodwill / Eigenkapital): je niedriger, desto besser -> Goodwill ist meist das erste, was in Problemfällen (oder bei neuen CEOs) abgeschrieben wird und dann zu Verlusten in der GuV führt

In Kapitel 4 folgen Kennzahlen zum Working Capital Management: hier geht es rund um die Themen Inventare, Forderungen aus LuL und Verbindlichkeiten aus LuL. Es werden Kennzahlen wie Debitoren- und Kreditorenlaufzeiten berechnet, Liquidität verschiedener Grade (1., 2. und 3.), Vorratsintensität, Umschlagshäufigkeit, Geldumschlag, Auftragsreichweite.

In Kapitel 5 folgt dann das erste Mal eine Beschreibung qualitativer Aspekte. Es geht hier v.a. um die Analyse des Geschäftsmodells: es gilt herauszufinden, was ein Unternehmen macht, wie gut es das macht und welche Vorteile sich im Markt daraus ergeben. Als Werkzeuge bei der Analyse führt er unter anderem SWOT und BCG-Analysen an. Im Endeffekt geht es darum starke Unternehmen zu identifizieren oder aber solche, die in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit stark werden.

In Kapitel 6 geht er auf das Thema Ausschüttungspolitik ein. D.h. wie wird man als Anleger im Laufe der Zeit an den Gewinnen beteiligt. Hier gibt es 2 Varianten: Dividendenausschüttungen und Aktienrückkäufe. Dabei beschreibt er, wie man diese Punkte analysieren sollte. Z.B. sind hohe Dividenden nicht zwangsläufig gut, wenn sie das Wachstum behindern oder aber der 'Stabilität' willen mehr ausgeschüttet wird, als Free Cashflow gemacht wurde. Im Bezug auf Aktienrückkäufe, die ja v.a. der Steigerung des Gewinns/Aktie dienen sollen, führt er u.a. Daimler als Negativbeispiel an, da diese die Rückkäufe durchgeführt haben, als das Unternehmen überbewertet war. Gerry Weber in 2009 wird als Positivbeispiel aufgeführt.

In Kapitel 7 folgen Bewertungskennzahlen wie KGV, PEG, KBV, KCV und KUV. Zusätzlich geht er auf die Berechnung des Enterprise Value ein und damit verbundener Kennzahlen wie EV/EBITDA, EV/EBIT, EV/Sales oder EV/FCF. Den Enterprise Value-Abschnitt finde ich dahingehend interessant, da ich in der Vergangenheit durch Investitionen in Unternehmen mit negativem EV in Verbindung mit dem Faktor Geduld durchaus gute Renditen erzielen konnte (z.B. bei Heliad oder aber Balda). Trifft man auf ein solches Unternehmen, sollte man also immer einen zweiten Blick drauf werfen.

In Kapitel 8 - dem umfangreichsten Kapitel - folgen Methoden zur Unternehmensbewertung. Hier führt er die Bewertungsmethoden Ertragswertverfahren (über Discounted Cashflow), Marktwertverfahren (Multiplikatoren von KGV, KBV, KUV, KCV) und Substanzwertverfahren auf und erläutert diese an konkreten Beispielen. Anhand dieses lässt sich auch einmal nachvollziehen, wie denn Analysten immer auf ihre konkreten Kursangaben kommen. Fallbeispiele wie z.B. das der Rational AG sind dahingehend interessant, dass er mit seinen Berechnungen in 2011 gar nicht so weit von den tatsächlichen Zahlen entfernt war. Allerdings hatte er einen fairen Wert von 146,50 € berechnet und zwischenzeitlich war er sogar auf 480 gestiegen.

In Kapitel 9 folgt noch eine kurze Erläuterung des Themas Value Investing. Dies ist für ihn der Übergang der in den ersten 8 Kapiteln beschriebenen theoretischen Grundlagen in die konkrete Praxis eines Investors. Er bringt ein paar bekannte Buffett-Zitate und erläutert die wichtigsten Prinzipien: Margin of Safety, Diversifikation und langfristiges Denken.

Fazit:
Ich finde dieses Buch sehr gut und habe es bestimmte schon 4-5 mal gelesen. Es ist vor allem als kompaktes Nachschlagewerk geeignet, welches v.a. Anfängern in diesem Bereich helfen kann, sich dem Thema zu nähern. Die zahlreichen Praxisbeispiele (Yum Brands, Coca Cola, Rational AG etc.) machen die einzelnen Abschnitte meiner Meinung nach greifbarer. Sehr gut finde ich zusätzlich, dass sowohl auf deutsche wie auch auf englische Entsprechungen eingegangen wird. Dies erleichtert es ungemein, einen Blick auf SEC-Filings zu werfen. Das Wichtigste, dass man aus diesem Buch mitnehmen sollte, ist, dass viele Wege nach Rom führen. Es gibt keine Methode, einen Unternehmenswert exakt zu bestimmen. Die beschriebenen Werkzeuge dienen lediglich dazu, gute Unternehmen von schlechten unterscheiden zu können und näherungsweise einen Gegenwartswert für das Unternehmen zu bestimmen. Durch die Value Investing-Prinzipien Margin of Safety, Diversifikation und langfristiges Denken schafft man es dann, mit einem breit (nicht zu breit!) gefächerten Portfolio auf lange Sicht gute Renditen zu erwirtschaften. Diverse Webseiten (siehe auch Gurufocus-Beitrag) erleichtern einem dabei die Arbeit mit den quantitativen Faktoren ungemein, sowie z.B. auch die Vergleichbarkeit innerhalb einer Branche. Die rund 25 € für das Buch sind gut investiertes Geld.

3 Kommentare:

  1. Ich habe das Buch ebenfalls gelesen und es ist, wie Du schreibst, eine sehr kompakte und gelungene Zusammenfassung der wichtigsten fundamentalen Kennzahlen. Auch "Renditeperlen aus dem Scherbenhaufen" von diesem Autor kann ich empfehlen. Deine Buchvorstellung habe ich im übrigen auf meiner Bibliotheksseite zum Buch verlinkt, danke dafür.

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    1. Von dem anderen Buch hatte ich schon mal gelesen. Vielleicht besorge ich es mir auch mal irgendwann. Die TODO-Liste (oder besser ToRead-Liste) wird immer länger. Danke für die Verlinkung :-)

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  2. Nun ist Gerry Weber pleite. Im Buch war es aber ein Musterbeispiel. Was lernt man daraus?

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