Nachdem Anfang der Woche der Uniper-SpinOff auch börsentechnisch durchgezogen wurde, erinnerte ich mich, dass ich auf meiner Watchliste schon seit einiger Zeit einen 2014er SpinOff zur tiefergehenden Analyse stehen hatte. Hierbei handelt es sich um den SpinOff von Rayonier Advanced Materials (RYAM) aus Rayonier (RYN). Raynonier selbst ist mittlerweile ein REIT, sprich im Immobiliengeschäft unterwegs. RYAM wurde damals mit massiven Schulden versehen (nicht ungewöhnlich bei SpinOffs) und mit ihm wurde das ganze Zellulose-Geschäft abgespalten. Diese Zellulose wird aus Holzspänen hergestellt und findet in diversen Industrien Anwendung. Ca. 80 % der Umsätze kommen aus "Cellulose specialties products" (z.B. für Zigarettenfilter), der Rest aus "Commodity products" (für Windeln, Hygieneartikeln etc.). Vor allem in das "Cellulose specialties"-Geschäft gibt es wohl gewissen Eintrittsbarrieren, welche dazu geführt haben, dass fast die gesamte weltweit pro Jahr benötigte Menge (1,4 Mio. Metrische Tonnen laut Bracell-Annual Report) von lediglich 4 Unternehmen bereitgestellt wird. Diese wären RYAM (USA, Kapazitäten von 490'), Bracell (Brasilien, Kapazitäten von 350'), Tembec (CA/FRA, Kapazitäten von 310') und Neucel (CA, Kapazitäten von 195'). Irgendwo hatte ich auch noch was von Buckeye gelesen. Die wurden aber 2013 von Georgia-Pacific LLC für 1,5 Mrd. $ übernommen und da konnte ich nichts bezüglich deren Kapazitäten finden.
Hier mal ein Kursverlauf, der für SpinOffs nicht ungewöhnlich ist (und den daher aktuelle Uniper-Aktionäre evtl. in Zukunft auch sehen könnten). Alle Shorties hatten an der Aktie ihre helle Freude, würde ich sagen.
Am Anfang konnten Sie sich noch ganz gut halten. Dann gab es erst buchhalterische Probleme (Rückstellungen zur Beseitgung von Umweltschäden waren wohl zu niedrig angesetzt), anhaltende Preisrückgänge durch Überkapazitäten (dazu später mehr), Verluste von Großaufträgen, Abschreibungen auf vorher teuer umgerüstete Produktionsstätten und gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Hauptkunden. Diese gerichtlichen Auseinandersetzungen hatten dazu geführt, dass der Kurs im August letzten Jahres innerhalb eines Tages um etwa 50 % bis auf knapp 6 $ abgestürzt war. Seither hat er sich wieder erholt. Für schwache Nerven ist das Papier auf jeden Fall mal nix. Hier einmal ein Blick auf die Geschäftszahlen vor (bis 2014) und nach (ab 2014) dem SpinOff:
Man kann sehr schön erkennen, dass es bis zum SpinOff über Jahre ein sehr erträgliches Geschäft war. Daher war der Kurs kurz nach dem SpinOff wahrscheinlich auch nicht so stark abgestürzt, wie man es durch die enorme Schuldenlast verbunden mit einem negativen Eigenkapital hätte vermuten können. In diversen SeekingAlpha-Artikeln wurde damals ein EV/EBITDA von 7 zugestanden und daraus hatten die Kollegen dann mit einem EBITDA von 350 Mio. einen fairen Kurs von 35-40 berechnet. Diverse Shorties warnten vor den Überkapazitäten (=führt zu sinkenden Preisen), dem nicht wirklich vorhandenen Wachstumsmarkt (Zigarettenfilter) in Kombination mit den hohen Schulden und haben durchaus recht behalten. Die Geschäftsentwicklung der letzten 2 Jahre ist eine gute Erinnerung daran, dass man die Wahrscheinlichkeiten für die Bestfall-Szenarien nicht zu hoch und die für die Schlimmst-Fall-Szenarien nicht zu niedrig ansetzen sollte. Ich sage nur Murphys Gesetz.
In einem anderen SeekingAlpha-Artikel (bzw. eine Kommentar) hatte sich ein Nutzer interessante Gedanken über die Überkapazitäten gemacht. Darin äußerte er die These, dass die etablierten Player (allen voran RYAM als Marktführer) die Überkapazitäten durchaus bewusst erzeugten, um damit den Preis zu drücken und potentielle Neueinsteiger abzuschrecken. Mir war diese Taktik bisher nur aus dem Kaligeschäft bekannt. Immer dann, wenn Unternehmen in relativ stabilen Nischenmärkten (der weltweite Zigarettenkonsum sollte in etwa gleich hoch bleiben in Zukunft bei rund 1 Mrd. Konsumenten) solch hohe Margen erwirtschaften (GK/EK-Renditen jenseits der 20/40 %), denken sich andere natürlich, dass man da auch reinkönnte. Ein solches Verhaltensmuster hatte es wohl auch in der Vergangenheit schon gegeben mit dem gewünschten Ergebnis (=keine Neueinsteiger). Wenn ich richtig gelesen hatte, war Bracell (früher Sateri) das einzige Unternehmen, was in den Markt kam. Bracell selbst ist von Brasilien aus aktiv und ich hätte mir gewünscht, diese Analyse früher durchgeführt zu haben, denn dann hätte ich mir deren Aktien mit Sicherheit gekauft. Die hatten in 2015 ein EBITDA von 184 Mio. USD. erwirtschaftet bei einer Marktkapitalisierung von 397 Mio. USD und einer Nettoverschuldung von lediglich 137 Mio. USD. Noch Anfang Juni wurden sie für knapp 0,10 €/Aktie gehandelt. Jetzt stehen sie bei 0,25 €, nachdem der Hauptaktionäre die Minderheitsaktionäre rausdrängen und Bracell (wird in HongKong gehandelt) von der Börse nehmen will. Ärgerlich...
Was gefällt mir an Rayonier?
- Schuldenabbau geht voran.
- Relativ hohe Eintrittsbarrieren (v.a. durch KnowHow-Vorsprung).
- Nischenmarkt mit oligopoler Wettbewerberstruktur (4-5 decken fast den kompletten Markt ab).
- Aktuelle Marktsituation (Überkapazitäten und immer noch sinkende Preise) dürfte Neueinsteiger abschrecken.
- Dürfte durch das negative Eigenkapital wohl bisher bei vielen unter dem Radar gelaufen sein. Zusätzlich durch relativ geringe Marktkapitalisierung für diverse institutionelle Anleger uninteressant.
- Dividende (aktuell 7 cent/Quartal) würde das Warten erleichtern.
- Auf KGV und KFCF-Basis recht günstig. Bei EV/EBITDA zwischen 5-6 fair bewertet.
- Dem Wettbewerber Tembec geht es noch dreckiger. Deren Schuldensituation ist noch präkerer in meinen Augen und deren GuV lässt nicht wirklich auf Besserung hoffen. Da diese für etwa 310' Metrik Tonnen an Kapazität stehen, würde sich bei einer Pleite von Tembec die Überkapazitätssituation evtl. entspannen.
Was gefällt mir nicht?
- Das Management hat zwar viel Erfahrung, da sie auch vor dem SpinOff schon das Sagen hatten. Aber diverse Pre-SpinOff-Vorgänge kann man ihnen auch ankreiden, die erst Post-SpinOff Auswirkungen auf die Geschäftergebnisse hatten. Warum rüste ich z.B. erst ein Werk teuer um, um es 3 Jahre später wieder (zumindest teilweise) auf Commodity Products-Produktion umzustellen?
- Die Schuldenlast ist immer noch sehr hoch. Der Großteil (d.h. mehr als 500 Mio. USD an mit 5,5 % verzinste Senior Notes) ist zwar erst 2024 fällig. Aber die zu zahlenden Zinsen (jährlich hierfür knapp 27 Mio.) müssen natürlich auch erst einmal erwirtschaftet werden.
- Letzten Monat wurden bis zu 1,725 Mio. neuartige Wandel-Vorzugsaktien zu 100 USD emittiert. Die bringen wohl 8 % Dividende/Jahr und werden dann nach 3 Jahren (also 2019) in Stammaktien umgewandelt in einem Umwandlungsverhältnis irgendwo zwischen 1:6.5923 und 1:7.7459. D.h. wenn ich es richtig verstanden habe, würden dann zwischen 11,3 Mio. und 13,36 Mio. Stammaktien hinzukommen, was natürlich jetzt schon wichtig ist für eine Bewertung. Zusätzlich würde eine fixe Dividendenbelastung von 13,8 Mio. USD für die nächsten 3 Jahre hinzukommen (1,725 Mio. Aktien * 8 %/Aktie bei 100 USD/Aktie). Durch die Ausgabe kamen zwischen 145 und 167 Mio. an Cash rein, welche für Investitionen, Acquisitionen oder Schuldenabbau benutzt werden sollen. Ich würde hier eher auf Investitionen und Acquisitionen tippen, denn warum sollte ich etwas mit 8 % verzinstes ausgeben, um damit etwas mit 5,5 % Zinsen zu tilgen (bzw. unter 2 % für die anderen Schulden). Aber auch das ist nur meine Interpretation dieser neuen Aktiengattung. Die zugehörigen SEC-Filings waren recht kompliziert. Falls hier jemand etwas genaueres weiß, hinterlasst bitte einen Kommentar.
- Überschaubare Insiderbeteiligung (CEO hält z.B. nur 0.3 %).
- Bracell ist schon stark als Wettbewerber und wird zusätzlich zukünftig intransparenter, wenn sie wirklich von der Börse genommen werden.
- Gesamtmarkt für "Cellulose specialties products", welches ja ihr Hauptprodukt ist, ist kein Wachstumsmarkt. Er ist zwar krisenresistent (geraucht wird auch in schlechten Zeiten), aber von Wachstum dürfte hier nicht ausgegangen werden.
- Gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Hauptkunden sind nicht gut und könnten Narben hinterlassen, auch wenn die Probleme kurzzeitig beseitigt wurden.
Versuch einer Bewertung:
Ich würde hier mal wieder eine Bear-Case/Normal-Case/Bull-Case-Bewertung durchführen, wobei ich diesmal mit EV/EBITDA arbeite. Für alle Fälle verwende ich eine Aktienanzahl von 50 Mio. (aktuell 43,2 + 13,3 durch Vorzugsaktienwandlung 2019 + rund 3 durch normale Verwässerung wie Optionen und RSUs). Im Bear-Case würde ich einen Rückgang des EBITDA auf 150 Mio. annehmen, einen EV/EBITDA-Multiplikator von 4 und einem Schuldenabbau von 40 Mio. $ pro Jahr. Im Normal-Case ein EBITDA von 200 (wie für 2016 vorhergesagt), einen EV/EBITDA-Multiplikator von 4,5 und einem Schuldenabbau von 70 Mio $ pro Jahr. Im Bull-Case würde ich ein EBITDA von 300 annehmen (wie vor SpinOff), einen EV/EBITDA-Multiplikator von 5 und einem Schuldenabbau von 100 Mio $ pro Jahr. Hier das Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung von 30/60/10:
Mit diesen Annahmen würde sich für Ende 2020 ein Kurs von rund 12,50 USD ergeben. Aktuell liegen wir nur knapp darunter und somit kaufe ich die Aktie zum gegenwärtigen Kurs nicht. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich aufgrund anhaltender Schwankungen in Zukunft doch einmal die Möglichkeit eines Einstiegs bietet. Das ganze Szenario hat doch irgendwie zu viele positive Aspekte, als das man es pauschal bei Seite räumen sollte.
Wie immer gilt: dies ist keine Empfehlung, sondern nur eine Beschreibung meines Verständnisses der Situation des Unternehmens inkl. eines Versuchs einer Bewertung. Ich habe im Moment keine Aktien des Unternehmens und bei meiner Analyse können durchaus Fehler passiert sein oder aber ich könnte wichtige Details übersehen oder fehlinterpretiert haben. Daher: immer selbst informieren, bevor du eine Entscheidung triffst.
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